Diabetischer Fuß (DFS): Droht jetzt eine Amputation?

17. Februar 2020

Was ist ein diabetischer Fuß?

Dr. Jürgen Wernecke: Das diabetische Fußsyndrom gehört mit zu den gefährlichsten Folgeschäden eines schlecht eingestellten Diabetes. Bei bestehenden Risikofaktoren wie Nervenschäden (Polyneuropathie) oder Durchblutungsstörungen (pAVK) kann es manchmal auch trotz größter Sorgfalt entstehen.

Woran erkenne ich einen diabetischen Fuß?

Wernecke: In der sorgfältigen Fußkontrolle, die jeder Risikopatient täglich durchführen sollte, erkennt man anfänglich oft nur eine übermäßige Schwielenbildung, Hautrisse und dunkle Stellen unter den Druckschwielen, die gefährlichen Einblutungen entsprechen, die sich leicht entzünden können und sich unerkannt in die Tiefe bis zum Knochen ausdehnen können.

Bekommt jeder Diabetiker einen diabetischen Fuß?

Wernecke: Nein. Hierzulande gibt es etwa knapp sieben Millionen Diabetiker. Davon haben rund eine Million ein erhöhtes Risiko für offene Wunden. Schätzungen zufolge entwickeln jährlich 250.000 Deutsche ein Diabetisches Fußsyndrom. Bei etwa 40-50.000 muss sogar eine Amputation am Fuß vorgenommen werden. Die Zahl sinkt zwar inzwischen insgesamt leicht je nach Region und Qualität der Versorgung, steigt aber immer noch bei älteren Menschen – ebenso wie die Anzahl der Diabetiker.

Was sind die ersten Gegenmaßnahmen?

Wernecke: Zunächst muss eine Druckentlastung stattfinden.

Die Patienten haben ja kein Schmerzempfinden mehr und spüren nicht, wenn Druckwunden entstehen, sich infizieren und ausbreiten.

Hier können Spezialschuhe helfen. Außerdem muss die Durchblutung gesichert sein oder verbessert werden, damit die Wunden abheilen können und der Fuß langfristig nicht abstirbt. Lösungen bieten hier Katheter zum Aufdehnen von Gefäßverengungen, sogenannte Stents und Bypässe, die heutzutage bis in den Fußbereich wirken können.

Wie kann ich einem diabetischen Fuß vorbeugen?

Wernecke: Diabetiker sollten auf eine sorgfältige Fußpflege achten, Risikopatienten haben Anspruch auf eine monatlich professionelle podologische Fußpflege. Verletzungen und Druckstellen können durch spezielles Schuhwerk und regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen vermieden werden.

Was passiert, wenn ich nicht oder zu spät zum Arzt gehe?

Wernecke: Eine schnell fortschreitende Infektion, die der Patient aufgrund der Schmerzlosigkeit nicht ernst nimmt, kann mehr und mehr Teile des Fußes zerstören, die nicht mehr zu retten sind, und dann amputiert werden müssen. Größere Infektionen können lebensbedrohliche Blutvergiftungen hervorrufen.

Worauf sollte ich bei der Auswahl einer Klinik achten?

Wernecke: Für Patienten ist es optimal, wenn alle nötigen Fachabteilungen an einem Ort versammelt sind – so wie bei uns am AGAPLESION DIAKONIEKLINIKUM HAMBURG. Neben Diabetologen, zertifizierten Wundtherapeutinnen, Podologinnen, Diabetesberaterinnen und Psychologen gehören zu unserem engeren Fußbehandlungsteam auch die Fußchirurgie, die Gefäßchirurgie und die Katheter-Spezialisten. Regelmäßig wird unser Fußteam von einem spezialisierten Orthopädieschuhmacher unterstützt, der auch unsere multiprofessionelle Fußvisite begleitet.

Ist Ihre Klinik auf dem Gebiet ausgezeichnet?

Wernecke: Ja. Wir stellen eines der größten multiprofessionellen Behandlungsteams Norddeutschlands bereit und sind mit dieser Gesamtqualität die einzige von der Deutschen Diabetes Gesellschaft in Hamburg anerkannte Klinik-Einrichtung zur Behandlung des diabetischen Fußsyndroms.       

Warum sind so viele Fachabteilungen wichtig?

Wernecke: Ein diabetischer Fuß ist ein komplexes Syndrom. Wenn alle Spezialisten unter einem Dach versammelt sind, vereinfacht das den schnellen Zugriff auf Spezialbehandlungen und interdisziplinären Austausch zur Vermeidung von Amputationen – „Zeit ist Fuß!“ Der Patient kann die Zeit im Krankenhaus nebenbei zur Diabetesschulung, zu Gesprächen mit den Wundtherapeutinnen und Ärzten nutzen, um zu lernen, wie man mit der Krankheit und ihren körperlichen Auswirkungen umgeht und wie man später zuhause den betroffenen Fuß besser schützen kann.

Der Gedanke an eine Amputation oder einen Vollkontakt-Gipsverband samt klobigem Verbandschuh ist ein Schock. Können Sie mir Hoffnung machen?

Wernecke: Unser Hauptbehandlungsziel ist die Vermeidung von Amputationen. Sollten größere Amputationen trotz aller Anstrengungen nicht mehr zu vermeiden sein, wird ein sogenanntes „Zweitmeinungsverfahren“ angewandt: Nur wenn sich Patient, Diabetologe, Gefäß- und Fußchirurg einig sind, dass eine Amputation unvermeidlich ist, wird sie auch durchgeführt.

Uns ist klar, dass dieses Thema mit vielen Ängsten besetzt ist. Darum wird unsere Station auch durch eine Psychologin mit versorgt.

Verbandsschuhe sind sicher nicht hübsch, aber notwendig, um eine Wundheilung zu erreichen. Danach sind Spezialschuhe in Winter-, Sommer- und Hausschuhausführung mit Spezialeinlagen nötig, um erneute Wunden zu verhindern. Anders als viele Patienten befürchten, sieht man diesen Schuhen die Spezialverarbeitung von außen aber nicht unbedingt an und es gibt in der Fülle angebotener Modelle eigentlich für jeden Geschmack etwas dabei.

Von der Aufnahme bis zur Entlassung: Was erwartet mich im Krankenhaus?

Wernecke: Die Aufnahme erfolgt in der Regel direkt auf der Diabetesstation durch einen Diabetes-erfahrenen Arzt und eine Diabetesberaterin. In der Erstuntersuchung wird zunächst die Krankengeschichte erfragt, Blut abgenommen, die Wunde gesäubert, ein Abstrich zur Identifizierung von gefährlichen Bakterien abgenommen und die körperliche Untersuchung mit Abklärung einer Nervenstörung (Polyneuropathie) oder Durchblutungsstörung durchgeführt.

Dann erfolgt meist die erste Antibiotikagabe, die Bestellung von lokal entlastenden Verbandsschuhen, und die Diabetesberaterin kümmert sich um die BZ-Einstellung. Je nach Erstergebnis erfolgen dann weitergehende Untersuchungen der Füße mit Sonographie, Röntgen und ev. MRT-Untersuchung. Katheterspezialisten und Fußchirurgen werden eingeschaltet. Bei Bedarf wird auch direkt ein Gefäßchirurg hinzugezogen.

In der wöchentlichen Visite kommen dann Wundtherapeuten und ein spezialisierter Orthopädie-Schuhmacher hinzu. Nach Stabilisierung der Wunde und Sicherung einer ausreichenden Durchblutung in den ersten Tagen können größere Gewebe und Knochenzerstörungen durch die Fußchirurgen operativ entfernt werden.

Ausgeprägte Fußverformungen mit schwieriger Schuhversorgung können durch unsere Fußchirurgie korrigiert werden. Sonst erfolgt zur Verbesserung der Durchblutung zunächst eine Katheteruntersuchung mit direkter Therapiemöglichkeit zur Aufdehnung und Stentversorgung bestehender Verengungen in den Blutgefäßen. Sollte dieses nicht gelingen, versuchen unsere Gefäßchirurgen anschließend die Überwindung einer Gefäßverengung durch einen Bypass. Während des Aufenthaltes steht eine Psychologin mit zur Verfügung.

Die Wunden werden je nach Zustand täglich oder bis dreimal wöchentlich gesäubert und verbunden. In der wöchentlichen großen Fußvisite nimmt auch ein Orthopädie-Schuhmacher teil, der uns zur weiteren Schuhversorgung mit berät. Sobald die Fußwunden ausreichend stabil sind, beginnt die Entlassplanung. Zur möglichst effektiven weiteren Druckentlastung der Wunden können für zuhause ein Leihrollstuhl oder andere Hilfsmittel bestellt werden.

Wichtig ist uns die Weiterversorgung unserer Patienten in der ambulanten Situation, denn das schwächste Glied in der gesamten Versorgungskette entscheidet über die Qualität. Und wir wollen, dass unsere Patienten auch direkt im Anschluss von Wundspezialisten weiterversorgt werden. Dazu wird die betreuende Diabetespraxis über den Entlasstermin informiert und dort ein kurzfristiger Vorstellungstermin für den Patienten organisiert. Patienten, die noch nicht diabetologisch mitbetreut waren, erhalten Adresslisten der spezialisierten Diabetespraxen.

Wie sind die Aussichten?

Wernecke: Wenn die Wunden abgeheilt sind, müssen die Füße regelmäßig kontrolliert werden. Risikopatienten mit Polyneuropathie oder Arterieller Verschlusskankheit haben Anspruch auf eine monatliche podologische Fußpflege. Wichtig ist die Versorgung mit adäquaten Schutzschuhen in jahreszeitlicher und insbesondere auch Hausschuh-Ausführung.

Die besten (und teuersten) orthopädischen Maßschuhe nützen nichts, wenn sie nicht getragen werden. Das heißt auch, dass der Orthopädieschuhmacher versuchen muss, mit dem Patienten eine auch äußerlich möglichst akzeptable Schuhform zu erstellen. Natürlich können das nicht spitze Pumps sein, aber ansonsten lässt sich an Form und Farbe mittlerweile einiges basteln.

Wenn Patient, Behandler und Schuhmacher auch zu Kompromissen bereit sind, lässt sich aus fast allen Problemsituationen mit schwieriger Schuhversorgung und gleichzeitig ausgeprägtem Wunsch nach gutem Aussehen etwas machen.

Was ist bei einer reinen Polyneuropathie zu beachten?

Wernecke: Bei einer reinen Polyneuropathie als Ursache des diabetischen Fußes lassen sich unter regelmäßiger Kontrolle und Schuhversorgung weitergehende Amputationen und damit Immobilität und Verschlechterung der Lebensqualität bis ins hohe Alter vermeiden. Auch schon bestehende arterielle Verschlusskrankheiten lassen sich durch zusätzliche Behandlung der Risikofaktoren (Bluthochdruck, Cholesterinerhöhung) weitere Fußprobleme länger aufschieben. Gelingt diese engmaschige Kontrolle und Versorgung allerdings nicht, ist die Gefahr von weiteren Schädigungen und sogar lebensbedrohlichen Komplikationen sehr hoch: Die Überlebenszeit eines diabetischen Fußsyndroms liegt je nach Alter und Vorliegen weiterer Komplikationen im Bereich oder sogar deutlich unter der von Darmkrebs!

 Schränkt ein diabetischer Fuß die Lebensqualität ein?

Wernecke: Natürlich stellen sowohl regelmäßige Kontrolluntersuchungen und Fußpflege als auch die Notwendigkeit, spezielle Schuhe zu tragen, eine gewissen Einschränkung der Lebensqualität dar.

Allerdings lassen sich durch spezielle Schuhe selbst kleinere Fußamputationen gut ausgleichen, ohne dass weitere Einschränkungen z.B. der Mobilität zu befürchten sind.

Jüngere Patienten können auch Amputationen im Unterschenkel- oder sogar Oberschenkelbereich durch gute Prothesen und intensives Training weitestgehend ausgleichen. Ältere Patienten mit vorbestehenden Handicaps dagegen sind sehr anfällig gegenüber Amputationen und Behandlungskomplikationen. Eine Einschränkung des Gehens bis hin zur Rollstuhlimmobilität ist nicht immer vermeidbar. Daher muss hier im Vorfeld versucht werden, insbesondere auch die älteren  Patienten vor solch „einschneidenden“ Komplikationen durch die gennaten Schutzmaßnahmen zu bewahren.

Kann der Patient selbst etwas tun?

Wernecke: Ja, unbedingt! Natürlich senkt die Behandlung der Risikofaktoren mit Aufgabe des Rauchens, der Akzeptanz und regelmäßigen Einnahme von Medikamenten zur Bluthochdruck und Cholesterinsenkung und die Akzeptanz von speziellem Schuhwerk das Risiko von weiteren Folgeschäden. Sich immer zu disziplinieren und alle Dinge zu beachten, gelingt bestimmt nicht immer. Wenn man sich aber schnell wieder besinnt und möglichst frühzeitig professionelle Hilfe in Anspruch nimmt, lassen sich kleinere Wunden immer wieder schnell zur Abheilung bringen. Wichtig ist, dass man sich orientiert, wo man diese Hilfe bekommt. Auf der Website der AG Fuß der Deutschen Diabetesgesellschaft kann man geprüfte und zertifizierte Behandlungszentren für den diabetischen Fußes in der Nähe z.B. anhand der Postleitzahl finden.

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